Ausstellung
Papierobjekte - Falz- und Schnittarbeiten
von Reinhard Wöllmer

11.02. - 09.03.2010
Im Kunsthaus Ansbach
Reitbahn 3. 91522 Ansbach






Ansprache zur Ausstellung am 11. Febr. 2010
von Barbara Leicht M.A., Kuratorin des Kunstmuseums Erlangen

Ausgelöst wurde Wöllmers künstlerische Idee Papier zu Objekten zu formen im Jahr 1991 auf seinem Aufenthalt in der Nürnberger Partnerstadt Skopje. In dieser Zeit überarbeitete der Künstler Fotografien mit Malerei. Schon damals beschäftigte sich Wöllmer mit Zeichensystemen, Kreisformen und Linien, die allenfalls Relikte der Dingwelt beinhalteten.
In Skopje versuchte er Zeichenpapier zu kaufen, was ihm bei der damalig schlechten wirtschaftlichen Lage misslang.
Die wenigen Bestände waren von dortigen Künstlern aufgekauft worden.
Aus der Not entstand eine Tugend, in diesem Falle eine eigene künstlerische Innovation: Reinhard Wöllmer zermahl alte Zeitungen und walzte daraus neues Papier. Ein Material entstand, was wir gemeinhin als Pappmaché kennen. Es entstanden Scheiben, die im Prinzip die Formsprache seiner letzten in Deutschland geschaffenen Werke, also den übermalten Fotografien aufnahmen.
Diese Scheiben sind Trägerinnen von Botschaften, denn im übertragenen Sinne konservieren sie die gedruckten Informationen der Zeitungen eines innereuropäischen Konflikts, dessen schlimme Auswirkungen uns noch immer sehr präsent sind. Außerdem formte und bemalte Wöllmer diese ersten Papierobjekte, inspiriert durch traditionelle Stoffmuster aus Mazedonien.
Somit transportierten diese Werke ganz besondere Inhalte der mazedonischen Ethnie.

Diese Sonderform einer sehr subtilen politischen Kunst war nur eine Randerscheinung im Werk Reinhard Wöllmers, der eigentlich Malerei studiert hat. An sich sind es klare Formen intensive Farbe, was ihn interessiert. Auch sind kaum mehr malerische oder zeichnerische Tendenzen in seinem Werk zu finden (außer bei den "Konstellationen"). Es fällt auf, dass sich die klare Formsprache und eine knappe aber ausdrucksstarke Farbpalette in sorgsamen Formvarianten manifestiert - oft als Kreise, Kreissegmente und Linien - diese zeigen sich stets in der Schräge und nie horizontal oder vertikal.
Die Grundlage seiner Objekte ist bis heute das selbst hergestellte Papier.
Durch das Walzen des mit Pigmenten durchgefärbten Cellulosebreis entsteht eine durchaus als kartonartig zu bezeichnende Masse, dem Ausgangsmaterial des Künstlers.

Nach dem Walzen und dem Trocknen bearbeitet Reinhard Wöllmer das bis zu einem gewissen Grad elastische Rohmaterial bildhauerisch auf einem Amboss mit dem Hammer, bis es eine gleichmäßig konvexe Form erhält und dann in seiner Binnenstruktur weiterentwickelt wird.
Formal steht Reinhard Wöllmers künstlerische Aussage dem Konstruktivismus nahe, denn blickt man in der Kunstgeschichte zurück, lässt sich das Oeuvre an den russischen Suprematismus annähern, der sich von allen gegenständlichen Tendenzen befreit hat. Nur Form und Farbe waren der Inhalt dieser Kunstrichtung. Kasimir Malewitsch hat mehrfach darüber publiziert, u. a. heißt eine seiner Schriften aus dem Jahr 1922 "Suprematismus - die Gegenstandslosigkeit oder das befreite Nichts."
Allein der Titel der Schrift sagt sehr vieles aus.
Ich erlaube mir einen kleinen kunsthistorischen Exkurs: Zu Beginn des 20.Jh. war die Zeit reif um eine extraordinäre Veränderung der Inhalte in der Kunst anzustreben, nachdem die Fotografie die Welt der Gegenstände abbilden konnte und der Expressionismus die Inhalte der Gegenständlichkeit in veränderter Lokalfarbe und extremem Ausdruck und Duktus diskutierte. Dieser Background ist Voraussetzung für die 80 Jahre später entstandenen Werke Wöllmers.
Seine Auseinandersetzung mit der frühen gegenstandslosen Kunst, zeigt sich in zwei Teilen seines Oeuvres, wobei Wöllmer keine Vorbilder der Kunstgeschichte kopiert.

Besonders in den schwarz-weißen Schnittarbeiten ("Corte") zeigen sich wohl ausbalancierte Systeme sowie auch in den noch weiter reduzierten Falzarbeiten ("Duett"), bei denen nur noch das rohe Papier bearbeitet wird. Hierbei konzentriert sich der Ausdruck nun ganz und gar auf das subtile Spiel der Formen, die Farbe verschwindet.
Zurück bleiben Licht und Schatten, bei Wöllmer wichtige optische Werkzeuge, denn sie modellieren und modulieren wie das Schwarz und Weiß die feinen Motivvarianten.
Kennt man seine frühen Arbeiten, so zeigen sich schon da Formen, die durchgehend in Wöllmers Werk zu finden sind: Der Kreis, die Scheibe, begleitet oder geschnitten von stumpfen, diagonalen oder gebogenen Linien, die der Künstler in ausbalancierten Systemen anordnet.

Die Farbe an sich zeigt nur in den Papierobjekten Präsenz.
Die große gewölbte Form (meist eine Scheibe, ein Quadrat mit geblähten Seiten) wird an ihrem Scheitelpunkt geöffnet, so dass der dahinterliegende Raum sichtbar wird. In manchen Objekten zeigt sich ein verschatteter Hintergrund, die Rückseite der Form also. Die neueren Werke, die "Perforationen", öffnen ihr Zentrum weit, die Wand wird sichtbar. In beiden Fällen entsteht neuer Raum mit einem ausgewogenen Spiel von Material, Farbe, Licht und Schatten.
Seine beruhigte Formensprache lässt Wöllmer abseits der Kunstmodediktate agieren. Seine Werke fühlen sich eher zeitlos an, sind jedoch nicht retrospektiv.

Die jüngeren Papierobjekte, die großen Werke, tendieren also dazu ihre Binnenform vermehrt zu öffnen. Sie zeigen eine immanente Bewegung der Formen. Manche mögen an stilisierte mechanische Teile von Maschinen erinnern - ein Hinweis auf unsere technik-orientierte Welt. Einige ebenfalls neue Multiples replizieren immer dieselbe Scheiben- oder Schildform, deren Rand in diesem Falle zum Raum hin perforiert ist.

Reinhard Wöllmers Arbeiten besitzen eine große Ausdruckskraft, denn in ihrer klaren Aussage und ihren geschlossenen Formen strahlen sie eine eigene Energie aus, die von der Materialität des Papiers und der reduzierten Farbskala ausgeht. Die Beschaffenheit der Oberfläche streut das Licht und gibt den Erscheinungen eine samtene Anmutung.

Die Objekte scheinen zwischen den beiden Polen "leicht" und "schwer" zu oszillieren - dem leichten Papier und der optisch schwereren Farbe, welche den Objekten eine statische Präsenz verleiht und sie zusammen mit der Form ponderiert. Obgleich ihrer reduzierten Formsprache zeichnen sich die Papierobjekte durch ihre material-immanente, sinnliche Komponente und durch eine hohe formale Ästhetik aus.
Widmet sich man sich diesen Werken eine längere Zeit, mag man sich ein langsames Pulsieren, eine verhaltene Bewegung vorstellen können, die durch die membranartig übereinandergeschichteten Formen, die Überschneidung der zentrischen Ausschnitte und die ruhigen Farbflächen verursacht wird.
Diese stille Interaktion zwischen Werk und Betrachter birgt für mich den sinnlichen Wert dieser Arbeiten.

Barbara Leicht






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