Homages to the Circle


Über die Arbeiten von Reinhard Wöllmer

Sind es nun Bilder oder sollte man eher von Bildhauerei sprechen? Sind die Papierarbeiten von Reinhard Wöllmer Objekte oder sind es Zeichnungen mit räumlicher Ausdehnung? Oder handelt es sich, da sie sich stets auf die Wand beziehen, um Reliefs?

Reinhard Wöllmer versteht sich als Maler, so viel ist sicher. Im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit steht die Farbe, ihre Bedingtheit durch das Material Papier, ihre Veränderung durch Licht und Schatten, ihre Abgrenzung durch die Linie und nicht zuletzt ihre Ausdehnung in den Raum.

Papier ist seit vielen Jahren das Ausgangsmaterial für die Arbeiten von Reinhard Wöllmer. Er fand es zufällig, um nicht zu sagen versehentlich: Während eines dreimonatigen Arbeitsstipendiums in Skopje versuchte er wegen Materialmangels aus alten Zeitungen Papier zu schöpfen, stellte schließlich Pappmaché her und schaute der Bäckerin von nebenan das Auswalken des Teigs ab. Pigmente, mit denen er die so entstandenen Scheiben erst bemalte und dann färbte, fand er in der Natur. Jahre später begann er, weil zufällig ein Hammer auf dem Tisch lag, die kreisrunden Scheiben aus eingefärbtem Pappmaché wie ein Schmied zu konvex-konkaven Formen zu treiben, von denen er jeweils zwei zu einem Hohlkörper zusammenfügte. Das Loch im Zentrum der Kreisform entstand zunächst aus einer technischen Notwendigkeit, entwickelte sich dann aber zu einem bestimmenden Element.

Ein experimentelles Vorgehen, aus dem eine große Beharrlichkeit mit immer neuen Versuchen und schließlich die Umsetzung mit höchster technischer Präzision hervorgeht, bestimmt die Arbeitsweise von Reinhard Wöllmer. Sie dürfte nicht zuletzt in seiner Biografie begründet sein: 1957 in Nürnberg geboren, absolvierte er zunächst eine Berufsausbildung zum Dekorateur und Schauwerbegestalter, bei der er mit vielen Bereichen handwerklichen Arbeitens in Berührung kam. Es folgte ein Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, das er als Meisterschüler von Clemens Fischer abschloss.

Für Reinhard Wöllmer geht es nicht um Abbildungen. Er bezeichnet seine Arbeiten als "inhaltslos", ohne Verweis auf die Welt der Dinge. Man könnte also meinen, er beschäftige sich ausschließlich mit formalen Fragestellungen. Gleichzeitig erläutert er jedoch, dass der Blick auf ein rundes Kirchenfenster vor dem Atelier in Skopje den Anlass für die ersten Kreismotive gab.

Die Bedeutung der Kreisform in der Geschichte der Kunst ist kaum zu unterschätzen. Im Mittelalter diente der Kreis vor allem zur Darstellung von Ordnungssystemen. Er versinnbildlichte die Schöpfung, die Sonne, die Sternenbilder, den Jahreskreis, das himmlische Jerusalem. Nicht zuletzt stand das von Fortuna gedrehte Rad für das wechselnde Glück im menschlichen Leben. Und so sind auch die prachtvollen farbigen Fensterrosen in romanischen und gotischen Kirchen zu lesen.

Es ist nicht zu leugnen, dass die raffinierten farbigen Papierobjekte und Objektbilder von Reinhard Wöllmer eine ebenso dekorative und suggestive Wirkung wie die mittelalterlichen Kirchenfenster entfalten. Hier wie dort ist es das Licht, das diese Wirkung je nach Tageszeit und Einfallswinkel verändert.

Reinhard Wöllmers Beschäftigung mit dem Kreis dauert mittlerweile länger an als die jahrelangen Untersuchungen, die Josef Albers mit seinen "Homages to the Square", übereinander gelegten verschiedenfarbigen Quadraten, unternahm. Beiden Künstler geht es um Fragen der Wahrnehmung und um die Wirkung von Farbe. "Kunst ist Offenbarung statt Information, Ausdruck statt Beschreibung, Schöpfung statt Nachahmung oder Wiederholung", schrieb Albers, "Kunst befasst sich mit dem WIE, nicht mit dem WAS; nicht mit dem wörtlichen Sinn, sondern mit der Präsenz ihres tatsächlichen Inhaltes. Die Präsenz – wie es gemacht ist – das ist der Inhalt der Kunst."

Und so ist und bleibt Reinhard Wöllmers Anliegen die Malerei, deren Grenzen er immer wieder aufs Neue auslotet. Seine kreisrunden, ausgewölbten und durchbrochenen Bilder entstehen nicht durch das Auftragen von Farbe, vielmehr vereinen sich Farbe und Farbträger in der Papiermasse. Räumliche Tiefe wird nicht mittels perspektivischer Darstellung suggeriert, sondern sie entsteht durch ein tatsächliches Davor und Dahinter. Wöllmer schafft mit Schichtungen, Wölbungen, Öffnungen und Oberflächenstrukturen die Bedingungen, unter denen das Licht für ihn malen kann.

Neben den Kreisobjekten entstehen auch rechteckige Bildkästen, für die schwarzes oder weißes Papier um einen Rahmen gespannt wird. Die Farbe wird auf die Rückseite des Papiers aufgetragen und ist nicht direkt sichtbar. Durch Öffnungen, die wiederum auf Kreisformen und ihre Abwandlungen zurückgehen, blickt man zunächst auf die Wand hinter dem Bildkasten, der mit einem kleinen Abstand montiert wird. Auf dieser Wand aber entfaltet sich nicht nur ein Spiel von Licht und Schatten, das durch die Öffnungen vorgegeben wird, sondern es ergeben sich auch sehr subtile farbige Reflektionen.

Und schließlich gibt es als dritte Werkgruppe grafische Arbeiten, die jedoch nicht mit dem Zeichenstift entstehen, sondern als Papierschnitte. Besonders reizvoll sind auch hier die schwarz bestrichenen, aus starkem Karton geschnittenen Kreisformen. Dieser wird entlang der Schnittkante aufgefaltet, sodass sich in der frontalen Ansicht eine weiße Linie ergibt. Allerdings verschwindet und erscheint diese Linie, wenn man sich vor dem Bild bewegt und es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.


Autorin:
Katja Sebald M.A.

Kunsthistorikerin, Autorin, Journalistin, Kuratorin und Übersetzerin


Papier, Farbe, Licht und Linie
vom 12.11. – 17.12.2022

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