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Fallensteller
Zu den Papierobjekten von Reinhard Wöllmer
Nicht erst seit Andreas Slominski stellen Künstler
Fallen. Ihre Beute: die Betrachter, die in die ausgelegten Fallen
gerne tappen. Denn im Unterschied zu den Vögeln, die nach den
Trauben des Zeuxis vergeblich pickten, liegt für den Kunstsinnigen
in der Täuschung eine Lust. Auch Reinhard Wöllmer hält
Fallen bereit, selbst wenn es zunächst gar nicht danach aussieht.
Geometrische Exaktheit, reine Farben und konstruktivistische Exerzitien
deuten auf eine künstlerische Welt, aus der Lug und Trug ausgeschlossen
scheinen. Doch ein Teil der abgeklärten Formen ist im wahrsten
Sinne des Wortes doppelbödig. Was zum Beispiel in Wöllmers
Farbgeometrien von 1999 wie ein schwarzes Rechteck oder Dreieck
auf dunkelblauem Grund erscheint, entpuppt sich bei rechtem Licht
besehen als eine entsprechend geschnittene Öffnung, durch die
eine zweite dunkelblaue Schicht sichtbar wird. Fenster zu jenem
Geistigen, das die Meister der klassisch-modernen Abstraktion so
gerne herbeizitierten, öffnet Wöllmer mit seinen Negativformen
keineswegs. Ebenso wenig haben sie mit jenen verblüffenden
schwarzen Kreisen oder Rechtecken von Anish Kapoor zu tun, die ebenfalls
nicht flach, sondern von erstaunlicher Tiefe sind. Treibt der indische
Künstler die Illusion auf die Spitze, so dass seine Bodenarbeiten
zu gefährlichen Fallen für unachtsame Museumsbesucher
werden, so geht es Reinhard Wöllmer vielmehr darum, Licht und
Schatten aktiv am Bildgeschehen zu beteiligen. Dass damit auch der
Betrachter aktiviert wird, versteht sich von selbst, schließlich
wechseln die Eindrücke je nach Standort und Lichteinfall. Wöllmers
Lichtfallen sind plastisch, ihre Wirkung malerisch. Auch wenn es
überkommen scheint, Gattungsbegriffe heute überhaupt noch
zu bemühen, ist einem Grenzgänger wie Wöllmer nicht
anders beizukommen. Das blaue Papierobjekt von 2003 etwa. Wohlwissend
hält sich der Künstler bedeckt und spricht von einem "Objekt"
statt von einem Bild oder einer Skulptur. Hinge das Objekt nicht
an der Wand, ließe es sich ohne weiteres als Skulptur wahrnehmen.
Ein nach beiden Seiten - zur Vorder- wie zur Rückseite - konvex
gewölbter, flacher Körper mit einer Tiefe von gerade einmal
10 Zentimeter und sanft gebogenen Kanten. Wer das Objekt nur als
Bild sieht, mag den Abstand zur Wand am Schatten erkennen. Die eigentümliche
Symmetrie der beiden Hälften bleibt ihm jedoch verborgen. Und
umgekehrt: Wer das Objekt nur als plastisches Gebilde wahrnimmt,
der übersieht jene Doppeldeutigkeit des zentralen Motivs, das
in einer kreisrunden Öffnung im Zentrum der Vorderseite besteht.
Hier erweist sich der Körper als hohl, durchzogen von einer
Innenwand, die ebenfalls kreisrund durchlöchert ist. Liegt
das obere Loch exakt mittig, so verweigert sich das kleinere, tiefer
liegende einer solchen Beugung vor der Macht der Mitte. Soweit laufen
die Wahrnehmung als Skulptur und als Bild noch parallel. Nun aber,
wo das in die Falle gegangene Licht seine Wirkung entfaltet, verwandelt
sich plötzlich - frontal betrachtet wie in der Katalogabbildung
- die größere Öffnung in eine Kugel, die vor dem
blauen Fond zu schweben scheint. Das kleinere, dunklere Loch wird
zur Pupille dieses Augapfels, der den Betrachter fixiert und ihm
René Magrittes berühmtes Gemälde Der falsche Spiegel
von 1928 in Erinnerung ruft. In dieser illusionistischen Pointe
gipfelt eine bildliche Wahrnehmung, die jedoch auch unabhängig
davon zu ihrem Recht kommt. Denn vom blauen Monochrom war noch nicht
die Rede. Die sprichwörtliche Tiefe dieser Farbe scheint zunächst
in der Staffelung von Ebenen, die durch die Löcher sichtbar
wird, illustriert. Doch gleichzeitig bringt diese Perforierung die
Materialität der durchgefärbten Papiermasse zum Vorschein.
Ein Material, das an seiner samtigen Oberfläche dem modellierenden
Licht keine Möglichkeit lässt, hart zu reflektieren. Wieder
konkurrieren Bild und Plastik. Der Blick, der sich in der Tiefe
der Farbe verlieren möchte, mit dem Blick, der wie eine Hand
über die gewölbte Fläche streicht. Bild oder Plastik?
Wie gesagt, in manche Fallen tappt man gerne.
Dr.Thomas Heyden, Neues Museum
Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
Katalog zu der Ausstellung papier=kunst 5
des Neuen Kunstvereins Aschaffenburg 2005
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